Realitätsnah üben

Elf Medizinstudierende proben den Ernstfall – Großschadenlage nach einer Explosion bei einem Grillfest

Nachdem sich das erste Chaos gelegt hat, kann eine strukturierte Versorgung durch die Studierenden bei der Übung durchgeführt werden.

Anfang Juni bot sich Nachbarn und zufällig vorbeikommenden Passanten am DRK-Zentrum in Minden ein erschreckendes Bild: es knallte, eine riesige Rauchwolke stieß zum Himmel auf, überall auf dem Gelände lagen verletzte Personen verstreut, weinende und vor Schmerzen wimmernde Menschen riefen lautstark um Hilfe. Augenscheinlich hatte sich auf der Grillfeier des Jungendrotkreuzes eine Explosion ereignet. Was dramatisch klingt, war zum Glück keine echte Einsatzlage, sondern eine Übung des Medizin Campus OWL in Zusammenarbeit mit dem DRK Ortsverein Minden. Die Studierenden aus dem fünften Studienjahr übernahmen hier die Aufgaben von Notärzten und Sanitätern, die Verletzten wurden von Notfalldarstellern des Jugendrotkreuzes Minden möglichst realistisch geschminkt dargestellt. Ein komplettes Wochenende widmeten sich elf Studierende der Ruhr-Universität Bochum am Medizin Campus OWL im Rahmen eines Wahlfaches im Querschnittsbereich Notfallmedizin dem Thema „Chaos überwinden – Großschadenslagen und Katastrophenmedizin“.

Am Samstag ging es zum größten Teil noch um die Theorie. Im Vordergrund standen zum Beispiel Themen wie Aufbau und Struktur der Gefahrenabwehr in Deutschland, Aufgaben des Leitenden Notarztes oder Gefahren an der Einsatzstelle. Am Sonntag sollte dann nur noch praktisch geübt werden. Vormittags fand am DLRG Bootshaus zunächst eine „Trockenübung“ statt. Die Patienten wurden hier durch Papierbögen im Rahmen einer sogenannten „Dynamischen Patientensimulation“ dargestellt. Bei noch etwas reduziertem Stresslevel konnten die Studierenden so das Vorgehen bei einem Massenanfall an Verletzten (MANV) üben. Gegen 12 Uhr mittags wurde es dann ernst, die Meldung ging ein: „MANV 20 – Explosion bei Grillfest, etwa 19 Personen betroffen.“ Für die Studierenden hieß es nun höchste Konzentration und einen kühlen Kopf bewahren. Nur ein paar Minuten später trafen sie mit den Einsatzfahrzeugen des DRK am Unfallort ein. Vor Ort fanden sie chaotische Verhältnisse vor. „Zunächst gilt es sich einen Überblick zu verschaffen: Wie viele Verletzte gibt es eigentlich wirklich? Wie schwer sind die Verletzungen? Um mit den begrenzten Kapazitäten so vielen Patienten wie möglich das Überleben zu sichern, müssen die Verletzten in Sichtungskategorien eingeteilt und die Behandlung entsprechend priorisiert werden.“, erklärt Dr. Jan Persson, Lehrkoordinator für den Querschnittsbereich Notfallmedizin am Medizin-Campus OWL, der diese Simulation mitorganisiert und begleitet hat. Die Sichtung oder Triage beinhaltet Kategorien, denen jeweils eine Farbe entspricht: Rot werden alle markiert, die akut lebensbedrohlich verletzt sind und sofort behandelt werden müssen, Gelb steht für eine schwere Verletzung, deren Behandlung aber noch etwas warten kann, grün markierte Personen sind noch gehfähig und eher leicht verletzt. Schwarz steht zu guter Letzt für bereits verstorbene Personen. Gar keine einfache Aufgabe für die Studierenden, denn an der Einsatzstelle waren die Betroffenen über eine große Fläche verteilt. In der Nähe des Grills befanden sich drei junge Männer regungslos mit schweren Verbrennungen am ganzen Oberkörper und vor allem im Gesicht. Ein paar Meter weiter lag eine weibliche Person mit einer offenen Kopfverletzung an einen Baum gelehnt. Etwas weiter links bewegte sich eine junge Frau nicht und schien mehrere blutende Wunden an beiden Beinen zu haben. Auf der anderen Seite hustete ein männlicher Besucher des Festes stark, es könnte sich um eine Rauchgasvergiftung handeln. Und weitere Verletzte fanden die Einsatzkräfte im Garten vor: Verwundete mit einfachen Schürfwunden, blutenden Platzwunden oder leichten Verbrennungen. „Wichtig ist dann, den Überblick zu behalten und aus in der initialen Chaos-Phase, die ganz normal ist, in eine geordnete Versorgung überzugehen.“, erklärt Oberarzt und Notarzt Dr. Persson. „Die Studierenden können ihr Gelerntes von gestern und die Erfahrung aus der Patientensimulation am Vormittag direkt zur Anwendung bringen und in einer realistischen Übung quasi ins kalte Wasser springen “, sagt Tobias Vollmer, Assistenzarzt in der Anästhesie des Johannes Wesling Klinikums. Vollmer, der bis zum letzten Jahr noch selbst Student am Campus in Minden war, hatte vor zwei Jahren die Idee zu dieser spektakulären Simulationsübung.

Im letzten Jahr fand die Veranstaltung zum ersten Mal statt und wurde damals als studentisches Initiativprojekt von der Ruhr-Universität Bochum gefördert. Für eine Wiederauflage konnten diesmal lokale Unternehmen als Unterstützer geworben werden. „Für die Studierenden war das eine spannende Erfahrung, die man in der Form im Studium sonst nicht erlebt. Sie haben gelernt, in einer Ausnahmesituation das Chaos auszuhalten und Ruhe zu bewahren. In diesem Szenario wurden sie zwar ziemlich gefordert, aber da wir ihnen immer als Ansprechpartner zur Seite standen, nicht überfordert. Die Resonanz der Studierenden zu diesem Konzept war durchweg sehr positiv.“, sagt Tobias Vollmer. Im Anschluss an die Übung wurde diese intensiv nachbesprochen und es gab viel Feedback, sowohl für die Studierenden als auch für die Organisatoren.

 

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